Frauenzentrum Khanzad - Schutz und Beratung von Frauen in Geflüchtetencamps und Gastgemeinden
KHANZAD entwickelt gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteur*innen nachhaltige Schutz- und Beratungsstrukturen für Frauen in Geflüchtetencamps und “Gastgemeinden”, die von Gewalt bedroht sind.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
In den Geflüchtetencamps der Germian-Region, in denen KHANZAD arbeitet, leben zurzeit noch ca. 15 000 vor allem arabisch-sunnitische Menschen, die seit 2014 aus den Provinzen Anbar, Diyala und Salahaddin, vor dem IS und später vor schiitischen Milizen aus ihren Heimatorten geflohen sind. Tausende weitere leben außerhalb von Camps in den Städten der Region. Die meisten von ihnen sehen zurzeit keine Rückkehrperspektive in ihre zerstörten und nach wie vor umkämpften Herkunftsorte.
Im Kontext von politischer und wirtschaftlicher Instabilität im Irak sind die kurdischen Gastgemeinden trotz großer Solidarität mit den Geflüchteten mit deren Versorgung und Integration überfordert. Hinzu kommen Spannungen zwischen kurdischen Gastgemeinden und den Geflüchteten, die auf die Gewaltkonflikte der letzten Jahrzehnte zurückgehen. Viele kurdische Überlebendende der Anfal-Operationen 1988 sehen arabisch-sunnitische Binnengeflüchtete als Teil der ehemaligen Täter*innengruppen und schwanken zwischen Ressentiments und Solidarität.
Sowohl die kurdische Gastgesellschaft als auch die arabisch-sunnitisch geprägte Herkunftsgesellschaft der Binnenvertriebene/-geflüchtete sind von patriarchalen Familienstrukturen und einem traditionellen Ehr- und Moralkodex geprägt. Die aktuellen krisenhaften Umstände; Not, Perspektivlosigkeit und der Zerfall sozialer Strukturen bringen neue Gewalt gegen Frauen und Mädchen hervor. In den Geflüchtetencamps gibt es eine hohe Prävalenz von häuslicher Gewalt sowie Kindes- und Zwangsverheiratungen.
Aktivitäten
Schon seit 2014 haben Mitarbeiter*innen von KHANZAD im Rahmen von Nothilfemaßnahmen in Geflüchtetencamps der Germian-Region Frauen sozial und rechtlich beraten. Seit 2016 kooperieren HAUKARI e.V. und die Kölner Frauenrechtsorganisation medica mondiale in einem aus Mitteln der Übergangshilfe des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Projekt zur Stärkung von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Schutz- und Beratungsstrukturen für Frauen in Geflüchtetencamps und Gastgemeinden der Kurdischen Region Irak.
Seit 2016 haben HAUKARI e.V. und das Frauenzentrum KHANZAD in Kooperation mit der Kölner Frauenrechtsorganisation medica mondiale ein neues Projekt begonnen, was sich gezielt an Frauen in Geflüchteten Unterkünften und Gastgemeinden richtet.
Das gemeinsame Mehr-Ebenen-Projekt verbindet:
- die direkte Beratung von Frauen, Männern und Familien in Gewalt- und Konfliktsituationen und Aufklärung/Bildung/Sensibilisierung von Männern und Frauen gegen Gewalt gegen Frauen und und die Unterstützung eines Wandels der Geschlechterrollen in Geflüchtetencamps und Gastgemeinden (Mikro-Ebene)
- die Stärkung lokaler zivilgesellschaftlicher und staatlicher Schutz- und Beratungsstrukturen, und die Qualifizierung lokaler Fachkräfte und die Sensibilisierung örtlicher Polizei- und Sicherheitskräfte gegen Gewalt gegen Frauen (Meso-Ebene)
- die Kampagnen- und Lobbyarbeit für die Verbesserung und Erweiterung staatlicher Schutz- und Beratungsangebote und die konsequente Umsetzung des Familiengesetzes von 2011 (Makro-Ebene).
Im Rahmen der Kooperation arbeiten HAUKARI e.V. und KHANZAD in den Geflüchtetencamps Alwand, Tazade und Qoratu in der Germian-Region, Provinz Sulaimania. Medica mondiale und ihre lokale Partnerorganisation EMMA – Organization for Human Development – setzen Projektaktivitäten in den Provinzen Duhok und Erbil um.
Im Projektrahmen unterstützt KHANZAD in den Geflüchtetencamps und Gastgemeinden der Germian-Region Anlaufstellen und mobile Beratungsteams des staatlichen Direktorats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (DCVAW). Gemeinsam bieten KHANZAD und DCVAW eine Kombination von Bildungskursen (Alphabetisierung, handwerkliche Fertigkeiten), Aufklärung (zu Themen wie Zwansgverheiratung, Kinderehe, Frauenrechten aber auch gesundheitlichen Fragen) und Beratung an. In meist mehrwöchigen Bildungskursen finden Frauen wie Männer geschützte und sozial akzeptierte Räume zur Verbesserung ihrer beruflichen Perspektiven und zum Austausch. Viele finden erst so den Mut und das Vertrauen, für sich, Familienangehörige oder Nachbar*innen Rat und Begleitung in Gewalt- und Zwangssituationen zu suchen. Psychosoziale Fachkräfte des DCVAW werden fortgebildet und erhalten regelmäßige Supervision. Polizei und Sicherheitskräfte der Germian-Region, die oft erste Anlaufstellen für Frauen in Gewaltsituationen sind, werden für den Umgang mit von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen sensibilisiert und geschult. In Polizeischulungen ist aktuell Cyber-Mobbing ein wichtiges Thema. Hier werden Frauen und Mädchen mit der Androhung der Verbreitung ihrer Fotos in den sozialen Medien erpresst und in ungewollte Beziehungen gezwungen. Die Veröffentlichung eines Fotos oder einer Information über eine Frau/ein Mädchen in den sozialen Medien kann weitreichende Familienkonflikte und Gewalt auslösen. In den Fortbildungen werden Polizeibeamt*innen über den Missbrauch sozialer Medien, über rechtliche und technische Möglichkeiten der Verfolgung von Täter*innen und sensiblen Umgang mit den Opfern geschult.
Eine weitere Projektkomponente ist die Vernetzung von Akteur*innen aus kommunaler Verwaltung, zivilgesellschaftlichen Gruppen, religiösen Strukturen, Medien und Universitäten der Germian Region mit dem Ziel der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Engagements gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Diese zivilgesellschaftlich-staatliche Zusammenarbeit und eine kontinuierliche Systematisierung und Nutzung von lokal entwickeltem Fachwissen in der psychosozialen Beratung sind wichtige Querschnittsthemen bei allen Aktivitäten des Projekts.
Zitate von Teilnehmer*innen an Bildungs- und Aufklärungskursen:
„Über die Auseinandersetzung mit psychologischen Aspekten haben wir uns mit unseren eigenen Schamgefühlen auseinandergesetzt. Wir können über unsere Gefühle offen und ehrlich sprechen. Wir haben uns über Frauen- und Kinderrechte ausgetauscht. Wir haben Freundschaften mit kurdischen Männern geschlossen, nicht nur mit arabischen im Camp. Wir haben erkannt, dass Frauen nicht dafür geschaffen sind, im Haus zu bleiben, sondern rausgehen müssen. Über den Kurs habe ich gelernt, mit meinem Sohn anders umzugehen und ihn seine eigenen Entscheidungen treffen zu lassen. Vor meiner Teilnahme hatte ich das Gefühl, meinen Sohn zu verlieren.“
„Ich sage jungen Frauen: Heirate nicht, wenn du noch ein Kind bist. Wenn du zur Heirat gezwungen wirst, wende dich an die Polizei und zeige das an. Verfolge deine Schulbildung. Erweitere dein Wissen. Denk nach, bevor du agierst. Wenn du ein Problem hast, das du nicht bewältigen kannst, suche Hilfe, wende dich an eine Menschenrechtsorganisation. Hole dir Rat von anderen Frauen; ihr Beispiel kann dir helfen. Für jedes Problem gibt es eine Lösung. Lass dich nicht entmutigen. Wir haben Freundschaften geschlossen in den Kursen, und manche werden ein Leben lang halten.“
Förderer und Partner*innen
Das Projekt wird in Kooperation mit der Kölner Frauenrechtsorganisation medica mondiale und mit Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus Mitteln der Übergangshilfe unterstützt. Aus der Übergangshilfe werden Projekte gefördert, die Hilfe in akuten Krisensituationen leisten, dabei aber auch schon Grundlagen für die Entwicklung nachhaltiger Strukturen legen, sich also zwischen Nothilfe und Entwicklungshilfe bewegen.