Wissensaustausch auf Augenhöhe

Unser Ansatz in der Qualifizierung und Supervision lokaler Fachkräfte

Im Fachaustausch mit Kolleg*innen in Kurdistan-Irak und in der internationalen Debatte um psychologische und psychosoziale Unterstützung von Überlebenden von Gewalt engagiert sich HAUKARI e.V. für die Stärkung lokal kontextualisierter Konzepte und Praxen, für die Dekolonialisierung des Wissenstransfers von West-/Ost- und Nord-Süd-Wissenstransfers und für Räume und Plattformen für einen internationalen Wissensaustausch auf Augenhöhe zwischen verschiedenen Kontexten.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Mit dem Vormarsch der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Irak und Syrien 2014 und der Spur von Tod, Leid und Zerstörung, die sie hinterließ, ist der Irak einmal mehr in den Fokus internationaler Hilfe gerückt. Neben der Versorgung von Binnengeflüchteten im Irak ist dabei ein Schwerpunkt die psychosoziale Unterstützung von Überlebenden von Terror und Gewalt und Geflüchteten. Mit dem Ziel der „Resilienzstärkung“ investieren internationale Geldgebende und auch das deutsche Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den sog. MHPSS-Bereich – mental health and psychosocial support –,-  also in die Aufstockung psychosozialer und Traumaprojekte und in die Qualifizierung psychologischer und psychosozialer Fachkräfte in staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ hat ein spezielles “Regionalprogramm für Psychosoziale Unterstützung syrischer und irakischer Geflüchteter“ aufgelegt. Mit unserer langjährigen Expertise im Bereich der Unterstützung von Überlebenden politischer und sozialer Gewalt sind auch HAUKARI e.V. und unsere lokalen Partner*innen Teil von Netzwerken der psychosozialen Unterstützung und haben z.B. im Rahmen des o.g. GIZ-Regionalprogramms an Leitfäden der psychosozialen Arbeit und Trainingsmanualen  für lokale Fachkräfte mitgearbeitet  (Link: giz2018-de-orientierungs-rahmen-MHPSS.pdf) und Regionalkonfererenzen und Austausche organisiert. 

Gleichzeitig haben wir aber auch einen kritischen Blick auf den Schwerpunkt der psychosozialen Arbeit im Rahmen der Internationalen Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.  Der Blick durch die MHPSS-Brille auf Krisenregionen diagnostiziert ganze BevölkerungsgruppenBevölkerungsgrippen per se als traumatisiert und somit therapiebedürftig, individualisiert und pathologisiert das durch Krieg, Vertreibung und Gewalt verursachte Leid und verstellt den Blick auf die ökonomischen und politischen Ursachen von Krieg und Konflikten. Das Ziel der „Resilienzstärkung“, ist dabei deutlich geleitet von europäischen Sicherheitsinteressen –- und auch denen regionaler Staaten – an der Eindämmung von Fluchtbewegungen.   Angesichts fehlender politischer Lösungen für die weltweiten Konflikte sollen über Resilienzstärkung und psychosoziale Unterstützung die von Gewalt Betroffenen – wie Kolleg*innen von medico international es ausgedrückt haben – „fit gemacht werden für das Ausharren im Ausnahmezustand“.

Im Oktober 2018 berichteten auf einer von HAUKARI e.V., medico international, der Bundesarbeitsgemeinschaft psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) und dem Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil (FATRA e.V.) organisierten Konferenz zu „Trauma- und Resilienzpolitiken“ psychosoziale Praktiker*innen aus dem Mittleren Osten, Afrika und Lateinamerika von ihrem Dilemma, angesichts akuten Flucht- und Gewaltsituationen zwar Zugang zu Fördermitteln für psychosoziale Beratung zu haben, nicht aber für die Deckung von Grundbedürfnissen der Betroffenen haben wie Nahrung, Wasser etc. aufkommen zu können. Die Konferenz offenbarte auch unsere eigene Gratwanderung in diesem Kontext: Auf der einen Seite die Herrschaft- und Kontrollfunktion psychosozialer Interventionen in Kriegs- und Konfliktregionen zu sehen und zu kritisieren; und gleichzeitig Teil der internationalen Hilfspolitik zu sein und unter dem Dach von MHPSS-Aktivitäten Räume zu nutzen, in denen emanzipatorische Praxis und Empowerment-Projekte möglich sind.

Unser Schwerpunkt in der Fortbildung lokaler Kolleg*innen: Stärkung und Systematisierung lokal kontextualisierter und entwickelter Konzepte und Beratungspraxis

Im Rahmen des MHPSS-Schwerpunkts werden in der Kurdischen Region Irak und im Irak eine Vielzahl von Qualifizierungsmaßnahmen für lokale psychologische und psychosoziale Fachkräfte angeboten. Viele dieser Maßnahmen werden von internationalen Trainer*innen durchgeführt, die wenig Kenntnis der lokalen Kontexte haben, richten sich an professionelle, akademisch ausgebildete Fachkräfte und vermitteln in westlichen Kontexten entwickelte Traumakonzepte und Therapie- oder Beratungsansätze. Solche Trainings gehen oft am Bedarf lokaler Berater*innen, die täglich mit Fällen komplexer Gewalt zu tun haben und selbst in gewaltvollen Verhältnissen leben und/oder aufgrund ihrer Tätigkeit bedroht und stigmatisiert werden, vorbei. Sie tendieren zudem dazu, lokal entwickelte Konzepte und Praxen des Umgangs mit den Folgen von Gewalt zu übersehen und zu überschreiben. 

So lehnen zum Beispiel Anfal überlebende Frauen in der Germian-Region eine psychologische Definition ihres Leids ab und engagieren sich in kollektiven Strukturen für ein Erinnerungsforum, das Gedenkort und soziales Zentrum zur gemeinsamen Erinnerungsarbeit und gemeinsamen Aktivitäten sein soll (Link zum Projekt Erinnerungsforum).  Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit Konflikten im familiären Kontext. Kolleg*innen des Frauenzentrums KHANZAD und anderer staatlicher und zivilgesellschaftlicher Beratungsprojekte für Frauen in Gewaltsituationen haben reiche und vielfältige Expertise in frauenzentrierter Familienmediation (Link zur ausführlichen Beschreibung), die der Zentralität von Familie in der kurdischen Gesellschaft Rechnung trägt.  

Qualifizierungsworkshop Frauenzentrum KHANZAD

Von HAUKARI e.V. und dem Frauenzentrum KHANZAD organisierte Fortbildungen für lokale Fachkräfte bauen auf diesen kontextualisierten Ansätzen der lokalen Kolleg*innen auf. Die meisten Fortbildungen werden mit lokalen Trainer*innen durchgeführt. In Workshops und Beratungen durch internationale Trainer*innen liegt der Fokus ebenfalls auf der Kontextualisierung internationaler Konzepte der psychologischen und sozialen Arbeit und der Stärkung und Systematisierung lokaler Theorie- und Praxisansätze. 

Gruppensupervision KHANZAD Mitarbeiterinnen

Supervision und Selbstfürsorge

Die Mitarbeiter*innen von KHANZAD und zivilgesellschaftlichen und staatlichen Partner*innen arbeiten alle unter großer Belastung. Sie sind tagtäglich mit komplexen Gewaltsituationen und Klient*innen, die von Mord und Selbstmord bedroht sind, konfrontiert. Zudem leben sie selbst in einem von Unsicherheit, Gewalt und Zukunftsangst geprägten Kontext und sind durch ihre Beratungstätigkeit Bedrohungen, Unverständnis und Stigmatisierung in ihrem Umfeld ausgesetzt. Seit 2016 erhalten alle in den von HAUKARI e.V. geförderten Projekten tätigen Mitarbeiter*innen zivilgesellschaftlicher und staatlicher Partnerorganisationen regelmäßige Gruppensupervision durch lokale Expert*innen aus der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Supervision wird dabei verstanden als Reflexionsraum, in dem Fallsupervision, Team-Coaching, Entspannung/Selbstvergewisserung ebenso möglich sind wie individuelle Beratung. 

Die Supervisor*innen tauschen ihre Erfahrungen in regelmäßigen Fachtagen und Fortbildungen untereinander und – punktuell – mit deutschen Berater*innen aus.

Universität Sulaimania, Kurdistan-Irak

Zusammenarbeit mit lokalen Universitäten –Vernetzung zwischen Theorie und Praxis

HAUKARI e.V. und KHANZAD arbeiten eng mit lokalen Universitäten in Sulaimania und Germian/Kalar zusammen. Professor*innen und Dozent*innen beider Universitäten führen Fortbildungen und Supervisionen für Projektmitarbeiterinnen durch und nehmen an Planungen und Evaluierungen der HAUKARI- und KHANZAD Projekte teil.

Konferenz „East meets West: Exchange and Interaction of Global and Local Psychosocial, Psychotherapy and Psychotraumatology Methods between Middle East and Western Countries“, Dohuk, Kurdistan-Irak, Juni 2019

Im Juni 2019 organisierten HAUKARI e.V. und KHANZAD mit Förderung der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Praxispanel auf der Internationalen Konferenz „„East meets West: Exchange and Interaction of Global and Local Psychosocial, Psychotherapy and Psychotraumatology Methods between Middle East and Western Countries“ am Institut für Psychotraumatologie der Universität Duhok, an der Akademiker*innen und Praktiker*innen der psychosozialen und Traumaarbeit aus Kurdistan-Irak, Irak, Iran, Kenia, Europa und den USA teilnahmen. In dem Praxispanel diskutierten Mitarbeiterinnen und Supervisor*innen von KHANZAD und des Direktorats zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen (DCVAW) der Kurdischen Regionalregierung mit achtzig internationalen Gästen ihre Arbeitspraxis und daraus entwickelte psychosoziale Beratungs- und Supervisionsansätze. 

Im Oktober 2019 beteiligten sich HAUKARI e.V. und KHANZAD als Kooperationspartner an der Internationalen Konferenz zum Thema „Social Work in Post-War and Political Conflict Areas – Challenges and Chances” an der Universität Sulaimania. Sie wurde organisiert vom Department für Soziale Arbeit an der Universität Sulaimania und der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Bochum und gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Die Konferenz brachte Forscher*innen, Lehrende, Studierende und Praktiker*innen der sozialen Arbeit aus verschiedenen Städten der Kurdischen Region, dem Irak, dem Libanon, Ägypten, Deutschland, der Schweiz und Südafrika zusammen, um die Herausforderungen sozialer Arbeit in Kriegs- und Konfliktregionen zu diskutieren und den West-Ost/Nord-Süd-Transfer von Konzepten und Ansätzen in diesem Bereich kritisch zu reflektieren. Die Konferenz wurde filmisch dokumentiert: