Geschlechtergerechtigkeit und Diversität

Frauenzentrum KHANZAD Sulaimania - 25 Jahre gegen Gewalt an Frauen und für Geschlechtergerechtigkeit!

1996 wurde KHANZAD als erstes parteiunabhängiges Frauenzentrum in Sulaimania gegründet. In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt auf Bildung und Vernetzung von Frauen; Ende der 1990er Jahre spielte KHANZAD – zusammen mit anderen Frauenprojekten und -aktivistinnen – eine aktive Rolle bei der öffentlichen Thematisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Seither wurde viel erreicht.

Inhaltsverzeichnis


Unsere Partnerorganisation: Das soziale und kulturelle Zentrum für Frauen KHANZAD in Sulaimania

1996 wurde das soziale und kulturelle Frauenzentrum KHANZAD als erstes parteiunabhängiges Frauenzentrum in Sulaimania gegründet. In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt auf Bildung und Vernetzung von Frauen; Ende der 1990er Jahre spielte KHANZAD – zusammen mit anderen Frauenprojekten und -aktivistinnen – eine aktive Rolle bei der öffentlichen Thematisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Seither wurde viel erreicht. 2009 stärkte eine Zivilrechtsreform in der Kurdischen Region die Rechte von Frauen im Scheidungs-, Sorge- und Erbrecht. Das 2011 verabschiedete Familiengesetz stellt Gewalt gegen Frauen und weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe. Die Kurdische Regionalregierung unterhält Zufluchtshäuser für von Gewalt bedrohten Frauen und – über das Direktorat zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (DCVAW) – Anlaufstellen, die die Beratung von Frauen mit polizeilicher Täterverfolgung verbinden. Nach wie vor sind die vorhandenen Zufluchts- und Schutzmöglichkeiten sowie das Aufklärungs- und Beratungsangebot jedoch nicht ausreichend und stehen starken religiösen und traditionellen Parallelstrukturen und patriarchalen Normen vor allem im familiären Bereich der Umsetzung von rechtlichen Reformen entgegen. So ist es für Frauen nach wie vor schwierig, eine Lebensperspektive ohne männlichen Versorger zu entwickeln. Vor allem in den ländlichen Gebieten sind Zwangsverheiratungen, Gewalt in der Familie und weibliche Genitalverstümmelung noch immer weit verbreitet. Frauen und Mädchen, die gegen den Ehrenkodex verstoßen und z.B. bei vor- oder außerehelichen Beziehungen entdeckt werden, werden bestraft und sind häufig von Ehrenmord bedroht.

Die seit dem Vormarsch der Terrormiliz IS 2014 anhaltende politische, wirtschaftliche und humanitäre Krise in der Kurdischen Region hat das Thema Frauenrechte von der politischen Tagesordnung verdrängt. Lokale Frauenorganisationen schauen besorgt auf das Erstarken fundamentalistischer Diskurse, die bereits erkämpfte Reformen, Rechte und Mobilität erneut einschränken.


Leitlinien der Arbeit von KHANZAD

KHANZAD arbeitet mit Frauen und Männern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Gruppen im Irak, mit Geflüchteten UND Gastgemeinden, mit Überlebenden aktueller UND früherer Gewaltkonflikte – und fördert so gegenseitiges Verständnis und Dialog.

KHANZAD vertritt einen holistischen, Ressourcen- und Empowerment orientierten Beratungsansatz, der psychosoziale, rechtliche und medizinische Beratung mit beruflicher Bildung und Aufklärung verbindet, KHANZAD hat spezifische, lokal kontextualisierte frauenzentrierte Strategien der Familienmediation zur Unterstützung von Frauen und zur Lösung von Gewaltkonflikten in der Familie entwickelt.

KHANZAD vertritt einen transformativen Gender-Begriff, bezieht Männer in die Beratungs- und Bildungsarbeit ein, sensibilisiert sie für Frauenrechte, ermutigt sie zur Reflexion männlicher Ehrkonzepte und Rollen und zur Thematisierung eigener Gewalterfahrungen.
KHANZAD fördert zivilgesellschaftlich-staatliche Zusammenarbeit zur Stärkung nachhaltiger lokaler Strukturen und verbindet Beratung von Frauen mit Qualifizierung lokaler Fachkräfte und Lobbyarbeit für rechtliche und politische Reformen.

Fallsupervision, Teamstärkung und die Schaffung von Räumen für Selbstreflexion und -fürsorge von Mitarbeiter*innen und Kooperationspartner*innen sind wichtige Komponenten aller Projekte.

KHANZAD`s kontinuierliche Aktivitäten

Im KHANZAD Frauenzentrum berät ein Team aus Sozialarbeiterinnen und Anwält*innen Frauen in familiären Konfliktsituationen, Frauen, die von physischer und psychischer Gewalt, Stigmatisierung, sozialer Ächtung betroffen oder von Ehrenmord bedroht sind. KHANZAD vertritt die Frauen anwaltlich, überweist sie an Schutzstrukturen oder engagiert sich in oft monatelangen Familien- mediationsprozessen für die Sicherheit der Frauen und ihre Rückkehr in ihre sozialen Zusammenhänge. 

Seit 1999 unterstützt KHANZAD Frauen in den Untersuchungs- und Strafgefängnissen von Sulaimania. Viele der Frauen sind aufgrund von Ehebruch und Prostitution inhaftiert und von Stigmatisierung und Gewalt bedroht. KHANZAD berät inhaftierte Frauen psychosozial und rechtlich und organisiert Bildungskurse. Zudem veranstaltet KHANZAD Fortbildungen für Sozialarbeiterinnen und Sicherheitspersonal in den Gefängnissen und engagiert sich für Reformen im Strafvollzug.

KHANZAD engagiert sich zusammen mit anderen Frauen- und Menschenrechtsgruppen in Kampagnen gegen geschlechtsspezifische Gewalt, für die konsequente Strafverfolgung von Tätern, für die Umsetzung und Verbesserung des 2011 verabschiedeten Familiengesetzes und für die Selbstbestimmung und politische Partizipation von Frauen. 

KHANZAD’s Ansatz in der Beratungsarbeit:

Schutz und holistische Beratung von Frauen in Gewaltsituationen

Viele der Frauen, die Beratung suchen, fliehen vor familiärer Gewalt, vor Zwangsverheiratung, vor familiären Sanktionen nach der Entdeckung einer vorehelichen oder außerehelichen Beziehung und sind existenziell bedroht: Von weiterer Gewalt, Verbannung durch die Familie und Ehrenmord. Schutz und Beratung sind deshalb nicht zu trennen; dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen und staatlichen Anlaufstellen und Zufluchtshäusern, Polizei und Justiz. Durch langjährige Erfahrung entwickelten KHANZAD und lokale Partner*innen einen holistischen Beratungsansatz, der rechtliche Beratung und Vertretung der Frauen sowie psychologische und soziale Beratung mit ökonomischer Unterstützung, Bildung, Aufklärung und Empowerment zur Entwicklung neuer Lebensperspektiven verbindet.

Familienmediation

Die kurdische Gesellschaft ist entlang familiärer Linien strukturiert; Frauen, die aus ihren Familien oder Ehen fliehen, können innerhalb der kurdischen Region Irak keine sichere anonyme Lebensmöglichkeit finden. Allein lebende Frauen sind sozial stigmatisiert; viele Frauen können sich zudem ein Leben außerhalb ihrer Familien nicht vorstellen. So ist die Rückkehr der betroffenen Frauen in ihre Familien und sozialen Kontexte ein zentrales Ziel in den meisten Beratungsprozessen. Gemeinsam mit der betroffenen Frau werden dabei zunächst unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Familie erarbeitet, von Anzeige und strafrechtlichen Verfolgung von Gewalttätern bis hin zu einer Verhandlungslösung mit der Familie.  Maßgebend für die Beratungsstrategie sind in jedem Beratungsschritt die Wünsche und Lebenspläne der betroffenen Frau und ggf. das Wohl ihrer Kinder. Die in der Familienmediation erfahrenen und interdisziplinären Kolleginnen von KHANZAD (Anwält*innen, Sozialarbeiterinnen, Pädagoginnen) analysieren gemeinsam mit der betroffenen Frau die Familiensituation, identifizieren potenziell unterstützende Angehörige sowie weitere Vertrauenspersonen im Umfeld der Familie, z.B. Lehrer*innen, Dorfälteste, religiöse Autoritären, und beziehen sie in den Beratungsprozess ein. Dabei wird rechtlicher und polizeilicher Druck gegen Familienmitglieder, die die Frau bedrohen, mit Gesprächsangeboten kombiniert. Viele Täter stehen selbst unter starkem sozialen Druck, ihre Ehre zu verteidigen; die Semi-Öffentlichkeit, in die der Familienkonflikt durch die Intervention von KHANZAD und staatlichen Partner*innen gerückt wird, bietet ihnen einen sozial akzeptierten Ausweg, ohne Gesichtsverlust von der angedrohten Gewalt abzulassen. So werden in oft monatelangen Verhandlungsprozessen Lösungen ausgehandelt, die der Betroffenen Sicherheit gewähren und ihr eine Rückkehr in ihr soziales Umfeld ermöglichen. Eine solche Lösung kann zum Beispiel sein, dass eine Familie, die ihre Tochter und deren Freund wegen einer vorehelichen Beziehung mit Ehrenmord bedroht, zu einer Aushandlung einer Ehe zwischen den beiden bewegt wird. Oder dass eine Frau, die eine außereheliche Beziehung hat, die Scheidung von ihrem Mann und die Rückkehr zu ihrer Vatersfamilie oder die Heirat mit ihrem Freund verhandelt, ohne familiär sanktioniert zu werden. In oft jahrelangen Nachbesuchen überprüft KHANZAD, ob einmal ausgehandelte Lösungen tatsächlich halten. 

Fortbildungen für lokale Berater*innen

Von HAUKARI e.V. und KHANZAD organisierte Fortbildungen für lokale Fachkräfte bauen auf den kontextualisierten Ansätzen der lokalen Kolleginnen auf. Viele Fortbildungen werden mit lokalen Trainer*innen durchgeführt. Aber auch bei Qualifizierungsworkshops durch internationale Trainer*innen liegt der Fokus auf der Kontextualisierung internationaler Konzepte der psychologischen und sozialen Arbeit und der Stärkung und Systematisierung lokaler Theorie- und Praxisansätze.

Supervision und Selbstfürsorge

Das Team von KHANZAD und zivilgesellschaftliche und staatliche Partner*innen arbeiten alle unter großer Belastung. Sie bewegen sich in einem Krisen- und Gewaltkontext, in dem nicht nur ihre Klientinnen, sondern auch sie selbst durch Stress, Unsicherheit und Zukunftsangst leben. Viele Berater*innen erleben aufgrund ihrer Tätigkeit in Geflüchtetencamps und ihrem Umgang mit Frauen in sozialen Notlagen selbst Unverständnis und Stigmatisierung in ihrem Umfeld. In ihrer Beratungspraxis sind sie zudem tagtäglich mit extremen Gewalterfahrungen, Morddrohungen und Selbstmordgefährdung konfrontiert. Seit 2016 erhalten alle in den von HAUKARI e.V. geförderten Projekten tätigen Mitarbeiter*innen regelmäßige Gruppen-Supervision durch lokale Expert*innen aus der Psychologie und den Sozialwissenschaften. Supervision verstehen wir dabei als Reflexionsraum in dem Fallsupervision, Team-Coaching, Entspannung/Selbstvergewisserung ebenso möglich sind wie individuelle Beratung. Die Supervisor*innen tauschen ihre Erfahrungen in regelmäßigen Fachtagen aus. 

Zusammenarbeit mit lokalen Universitäten – Theorie-Praxis-Transfer

HAUKARI e.V. und KHANZAD arbeiten eng mit lokalen Universitäten und vor allem dem Institut für Soziale Arbeit an der Universität Sulaimania und dem Institut für Psychologie an der Universität Germian/Kalar zusammen. Professor*innen und Dozierende beider Universitäten führen Fortbildungen und Supervisionen für Projektmitarbeiter*innen durch und nehmen an Evaluierungen der HAUKARI- und KHANZAD Projekte teil.