Reclaiming Social Media Spaces

Angesichts der wachsenden Bedrohung durch digitale Gewalt stärkt das Projekt die Medienkompetenz von jungen Menschen, um sie zu einem kreativen, sicheren und gewaltfreien Umgang mit sozialen Medien zu befähigen. Durch Qualifizierungsmaßnahmen und Netzwerkbildung werden zudem Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen sowie Mitarbeiter*innen staatlicher Beratungsstellen und der Polizei im Umgang mit Cybergewalt geschult. Gemeinsam verbessern sie durch Aufklärungs- und Lobbyarbeit staatliche Beratungsangebote und rechtliche Rahmenbedingungen und verankern Medienbildung nachhaltig im Bildungssystem.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Die Digitalisierung hat die Funktionsweise des Alltags auch in der Kurdischen Region Irak tiefgreifend verändert. Mit der Ausweitung medienbasierter Kommunikationsformen entstehen neue Gewalt- und Diskriminierungsformen im digitalen Raum, die bestehende soziale, politische und ökonomische Machtstrukturen widerspiegeln. Die Anonymität des Internets erschwert die Bekämpfung dieser Phänomene erheblich und löst bei Betroffenen wie auch bei Fachkräften Hilflosigkeit aus.

Cyber-Gewalt umfasst Formen wie Desinformation, Mobbing, Hassrede, Stalking, Erpressung durch Fake-Accounts und Fotomontagen (Sextortion). Besonders betroffen sind Frauen und Mädchen, zivilgesellschaftliche Aktivistinnen, Politikerinnen, sowie Mitglieder der queeren Community. Die Auswirkungen reichen von psychischen Belastungen bis hin zu sozialem Rückzug, Selbstverletzung oder Suizid. Patriarchale Strukturen und gesellschaftlicher Ehrenkodex verstärken die Folgen für die Betroffenen erheblich. So sind Opfer digitaler Gewalt zudem häufig zusätzlicher familiärer Gewalt oder sozialer Ächtung ausgesetzt . So berichtet die das Direktorat zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen (DCVAW) in der Kurdischen Region Irak, dass gegenwärtig der überwiegende Teil (70-80%) der Beratungsanfragen mit digitaler Gewalt in Zusammenhang stehen. 

Zivilgesellschaftliche Organisationen und das DCVAW bieten Beratung und Unterstützung für Betroffene von digitaler Gewalt an, stoßen jedoch an technische und strukturelle Grenzen: fehlende Möglichkeiten zur Löschung digitaler Inhalte, unzureichende rechtliche Grundlagen und mangelnde Ressourcen schränken effektive Hilfe ein. Insbesondere Frauen stehen bei der strafrechtlichen Verfolgung oft vor zusätzlichen Hürden, da Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und familiärer Gewalt sie davon abhält, offizielle Wege zu beschreiten.

Trotz der Risiken wird der Umgang mit sozialen Medien in der Gesellschaft nur wenig reflektiert. Die weitverbreitete Nutzung steht im Kontrast zu einem geringen Bewusstsein für Datenschutz und Gefahren. Wenn das Thema digitale Medien in der Öffentlichkeit thematisiert wird, geschieht dies in dramatisierender Form, teilweise mit Appellen zur Nichtnutzung.

Doch digitale Gewalt muss als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden werden: patriarchale und diskriminierende Strukturen setzen sich im digitalen Raum fort. Die Bekämpfung von Cyber-Gewalt ist deshalb nicht nur individueller Schutz, sondern ein wesentlicher Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit, zur Stärkung von Menschenrechten und zur Sicherung freier Meinungsäußerung. Gerade für Frauen, queere Menschen und Aktivist*innen ist der Schutz im digitalen Raum Voraussetzung für gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe. 

Das Projekt

Vor diesem Hintergrund wurde das Projekt „Reclaiming Social Media Spaces“ entwickelt. Es baut auf dem langjährigen Erfahrungswissen von KHANZAD, HAUKARI e.V., dem DCVAW und zivilgesellschaftlichen Beratungsstellen auf.

Ziel des Projektes ist es, das junge Menschen Social Media nicht nur als Risikofeld, sondern auch als Raum für Wissensaustausch, Engagement und Selbstverwirklichung wahrnehmen. Zudem werden Multiplikator*innen geschult, staatliche Beratungsstrukturen gestärkt und rechtliche Reformen angestoßen, um digitale Gewalt wirksam zu bekämpfen.

Hierzu werden Jugendlichen an Schulen, Ausbildungsstätten und Universitäten Workshops angeboten, in denen sie technisches Wissen zu Datenschutz und Privatsphäre sowie soziale Kompetenzen zur Erkennung und zum Umgang mit Cybergewalt erwerben. Anschließend bilden sie Peer-Gruppen, die den Erfahrungsaustausch und die gegenseitige Unterstützung im sicheren Umgang mit sozialen Medien fördern. Insbesondere mit dem IT-Departement dem Universität Sulaimania wurde eine Gruppe von Multiplikator*innen unter den Studierenden ausgebildet, welche Menschen die von Cybergewalt betroffen sind technische und psycho-soziale Beratung bieten. 

Gemeinsam mit diesen Studierenden wurden zudem begleitende Materialien zum Projekt entwickelt.  Darunter Kurzfilme, Poster, Aufklärungskampagnen und digitale Formate , die lebensnah gestaltet gezielt junge Menschen ansprechen sollen. Die Materialien können in Aufklärungsarbeit, Workshops und Kampagnen eingesetzt werden. 

Lehrkräfte und Sozialarbeiter*innen werden in speziellen Qualifizierungsmaßnahmen in ihrer Medienkompetenz sowie in der Früherkennung und Beratung bei Fällen von Cyber-Gewalt geschult. Auf dieser Basis entstehen Expert*innengruppen, die als Multiplikator*innen innerhalb ihrer Schulen und Institutionen agieren, weitere Fachkräfte unterstützen und zur nachhaltigen Verankerung von Präventions- und Beratungsstrukturen beitragen. Berater*innen von staatlichen Familienberatungsstellen sowie Polizist*innen, die im Bereich Cyber-Gewalt tätig sind, erhalten zielgerichtete Fortbildungen mit technischen Schulungen und mit rechtlichen und psychosozialen Aspekten.

Ein weiterer Pfeiler des Projekts ist die Lobbyarbeit und Netzwerkbildung. In Fachveranstaltungen und Vernetzungstreffen werden Vorschläge für die Reform bestehender gesetzlicher Regelungen sowie zur Integration von Medienbildung in schulische Curricula entwickelt und gemeinsam mit politischen Entscheidungsträger*innen diskutiert.

Projektkoordinatorinnen (mitte)

Förderer und Partner*innen

Das Projekt wird gemeinsam mit KHANZAD, dem Direktorat zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen (DCVAW), Bildungsministerium, Schulen, Ausbildungszentren, Hochschulen, insbesondere dem Fachbereiche Informatik, Medien, darstellende Künste an der Universität Sulaimania, dem Mastura-Institut für angewandtes psychologisches Wissen, dem Innenministerium, sowie Polizeieinheiten für Cyber-Ermittlungen umgesetzt. Es wird finanziert aus Spenden und Mitteln Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) . Die Laufzeit ist von Juli 2023 bis September 2025.